Otto Ubbelohde zu Besuch in Willingshausen

 Otto Ubbelohde und Willingshausen

Otto Ubbelohde (Marburg 1867 – 1922 Goßfelden) war der Künstlerkolonie Willingshausen eng verbunden. Er besuchte den Ort bereits im jugendlichen Alter von 14 Jahren, wie ein kleines Aquarell des Schwertzellschen Schlosses in einem frühen Skizzenbuch des Malers in seinem Nachlaß ausweist. Es ist mit dem 11. und 27. Juli 1881 datiert. Man möchte vermuten, dass der sehnliche Wunsch, selbst Maler zu werden, Ubbelohde zu dem Besuch des Malerdorfs veranlasst hat. 1902, nun nachdem er an der Münchner Kunstakademie von 1884 bis 1890 zum Maler ausgebildet worden war und nach einigen Jahren künstlerischer Praxis, hat er erneut in Willingshausen vor Ort gearbeitet. Mehrere Bleistiftzeichnungen in einem Skizzenbuch haben sich im Nachlass erhalten. Eine davon, bezeichnet „23.VIII.1902 / Willingshausen“, gab den Vorwurf für die Lithographie „Mühle“ (s. Abb. 1). Das Motiv ist damit für den Willingshausener Arbeitsaufenthalt gesichert. Es handelt sich wohl um die Bernsburger Mühle. Auch eine Ölstudie, die die Hutebuchen bei Willingshausen zeigt (heute in Privatbesitz), sowie weitere Studien sind in diesen August- und Septemberwochen 1902 entstanden. Unter dem 26.10.1902 schreibt Ubbelohde an seine Schwiegereltern nach Bremen (Brief. OUS): „In der vorigen Woche hatte ich den Dusel, eine der Studien, die ich im August in Willingshausen gemalt habe, ganz gut zu verkaufen.“

Auch Carl Bantzer berichtet in seinen Erinnerungen in „Hessen in der deutschen Malerei“ (Marburg 1939, S. 135) von dem Aufenthalt des Malers. „1902 hatten wir die Freude, auch Otto Ubbelohde in Begleitung seiner Gattin (…) einige Wochen unter uns in Willingshausen zu sehen. Es entstanden hier von Ubbelohdes Hand hauptsächlich Zeichnungen, nach denen er später größere Radierungen schuf, so zum Beispiel eine Landschaft von dem malerischen Ödland bei Arnshain mit dem Blick über die Wälder des Antrefftales nach dem Knüll, sowie von dem großartigen malerischen Weg vor Gungelshausen, der von der Landstraße nach den höher gelegenen Äckern durch Heide und Gestrüpp führte und an dessen Fuß und Rändern mächtige zum Teil aufeinandergetürmte Quarzitblöcke lagen. Diese schönen Radierungen zeugen sowohl von Ubbelohdes starker Empfindung für die Größe der Landschaft, als auch von seiner Meisterschaft, sie kraftvoll und technisch vollendet darzustellen.“ Die beiden genannten Radierungen sind als „Einsame Landschaft“ und „Steiniger Weg“ in dem Katalog sämtlicher Radierungen von Carl Graepler erfasst (Marburg 1967, Nrn. 54 u. 55).

Weitere Arbeitsaufenthalte Ubbelohdes in Willingshausen sind nicht bekannt. Dagegen gab es zahlreiche persönliche Begegnungen, die häufig mit Besuchen in dem Malerdorf verbunden waren und auch zu Gegenbesuchen nach Goßfelden führen konnten. Sie sind uns aus Briefäußerungen bekannt. Bantzer ist auch hier der zuverlässige Chronist. In der Briefesammlung, die sein Enkel Andreas herausgegeben hat (Carl Bantzer – ein Leben in Briefen, Willingshausen, ²1998), finden sich für die Zeit zwischen 1900 und 1909 elf Hinweise auf Ubbelohde und seine Kontakte mit den Malern der Künstlerkolonie, insbesondere mit Bantzer.

Auch Ubbelohde schreibt von diesen wiederholten Treffen. Zum Teil hatten sie allgemeine gesellschaftliche Anlässe, die auch durch Fotografien belegt sind, so die Wasenberger Kirmes 1906, eine ähnliche Veranstaltung, zu der Otto und Hanna Ubbelohde in Hinterländer Tracht erschienen, eine Begegnung mit der Bantzer-Klasse, die von Dresden angereist war (Abb. 4).

Es ging in den Kontakten dann jedoch auch um den Austausch übergreifender Fachfragen. Sie galten vor allem dem veränderten Erscheinungsbild der ländlichen Malmotive, die von einer Ökonomisierungswelle um 1900 erfasst wurden. Ubbelohde beklagt sich bitter bei dem zehn Jahre älteren Bantzer (Brief. Goßfelden, 20.X.1903, Kopie OUS): „Lieber Meister Bantzer! Ob und wann wir kommen, Sie zu besuchen, wissen wir noch nicht. Es sind uns in diesen Tagen viele traurige Gedanken durch den Kopf gegangen und wir sind ziemlich entschlossen, auf etwa zwei Jahre von hier fortzugehen und unser Häusel leer stehen zu lassen, eventuell es hernach zu verkaufen, natürlich mit Schaden. Ich kann’s nicht mehr mit ansehen, wie hier alles vernichtet wird, an dem wir schon lang unsere Freude und einen hohen künstlerischen Genuß gehabt haben. Ich glaube, es bleibt hier unten im Thal auch nicht einer von den großen Bäumen stehen, die kleinen Altwasser werden zugeschüttet und unglaublich scheußliche Wege führen zu den Verkoppelungsmotiven. (…) In meinen pessimistischsten Stimmungen hätte ich mir eine solche Monotonie und eine solch gründliche Verhunzung unserer Landschaft nicht träumen lassen. ‚Es geschieht fast gar nichts!’ Sagte so nicht Ihr Verkoppelungsmensch? Gewiß sind sie alle ehrenwerte Männer, diese Kulturingenieure, aber vor der Höhe ihrer Kultur kriegt man eine unendliche Hochachtung wenn man sieht, wie sie durch die herrlichsten Sachen ihre Lineale legen. Das muß so sein! Es wird so viel über Schönheitskultur geschrieben, aber ich glaube, keine Zeit ist kälter und roher über alle Schönheit hingetrampelt als die unsere. Eins darf man ja nicht vergessen: An das Schönste und das Höchste kann nicht einmal ein wirklicher Geheimer Ober-Regierungsrat: Die Wolken werden immer noch nicht rechteckig. (…) Es bleiben nur die ganz großen Sachen, die Stimmungen, die Motiverchen gehen zum Teufel und deshalb könnte man ja auch an dem Großen wachsen.“

Ubbelohde erkennt schmerzlich die Utopie einer großen intakten Natur in seinem nahen Goßfelder Umfeld für sein Konzept lebensreformerischer Landschaftsbilder. Er weiß sich darin mit Bantzer und der Künstlerkolonie Willingshausen verbunden. In dieser Nähe ist zugleich erkennbar, dass das Malerdorf stärker auf die Darstellung des Lebens ländlicher Menschen ausgerichtet ist, während Ubbelohde die reine Landschaft sucht.

Er sieht diesen Unterschied deutlich, wenn er an Hedwig Weiß, eine figürliche Malerin, die er mit Bantzer bekanntmachen will, schreibt (Brief. Goßfelden, 9.XII.1902, Kopie OUS): „Wir gehen auch einmal hinüber in die Schwalm; das wird Ihnen gewiss gefallen und manches Ihnen einen großen Eindruck hinterlassen. Wenn in einem Schwälmerdorf die alten Leute vor der Kirche stehen im Kirchenanzug mit den großen Hüten in den langen Röcken und Gamaschen, das ist wie wenn man dabei wäre, wenn der Alte Fritz seinen Generalen eine Rede hält. Diese stattlichen Männer mit den scharfen Gesichtern! Auch landschaftlich ist’s herrlich dort. Mir hat’s immer gut getan, einmal dort zu sein. Es ist etwas absolut anderes als hier, und man wird wieder frisch für die Gegend von Goßfelden.“

Ubbelohde hat sich – nach Erfahrungen im Pleinairismus in der Umgebung von München (Schleißheim, Haimhausen, Murnau), am Bodensee, an Neckar und Jagst, schließlich in der sich eben ausbildenden Künstlerkolonie Worpswede – 1898/99 entschlossen, sich zusammen mit seiner Frau Hanna in der Lahnaue unterhalb von Goßfelden bei Marburg niederzulassen und hier sein Konzept des „NaturBildes“ zu verfolgen. Bei aller Nähe zu den Willingshäuser Malern und insbesondere zu Bantzer hat er sich deshalb wohl nie als Mitglied der Malerkolonie gesehen, und ähnlich hat es Bantzer wahrgenommen, wie sich aus seiner „Willingshäuser Chronik“ in „Hessen in der Malerei“ zurückschließen lässt. Dieser Einschätzung widerspricht nicht, dass das Logo von Malerstübchen und Kunsthalle Willingshausen einem Entwurf Ubbelohdes entstammt (s. Abb. 5). Er hat auch für andere Gelegenheiten solche Entwürfe gemacht, so für den Marburger Verein der Altertümersammlung.

So ist es angemessen, dass Ubbelohde mit seiner Ausstellung nun „zu Besuch in Willingshausen“ ist. Sie war lange geplant und es ist schön, dass sie im Jahr der Wiederkehr des 150. Geburtstags Ubbelohdes stattfindet. Dazu konnte Prof. Dr. Wulf-Diether Gassel mit einer Auswahl aus seiner großen Ubbelohde-Sammlung gewonnen werden. Die Otto Ubbelohde-Stiftung ist sehr dankbar für diese Mitwirkung. Die Sammlung Gassel enthält vor allem Zeichnungen und Graphiken des Malers und hier auch, ganz im Sinne der Reformidee der Stilkunst um 1900, viele Arbeiten des Künstlers, die dem angewandten Bereich zugeordnet werden können. Ergänzend sind von der Otto Ubbelohde-Stiftung und aus Privatbesitz Werke hinzugekommen. Die Ausstellung soll durch ein „Willingshäuser Heft“ dokumentiert werden.

Ludwig Rinn