Heinrich Giebel - 150 Jahre

1925 widmete der Hessische Geschichtsverein dem Maler Heinrich Giebel eine Ausstellung zu dessen 60. Geburtstag. Giebel hatte die Bickellsche Altertümersammlung des Geschichtsvereins über zwei Jahrzehnte im Marburger Schloss betreut und erweitert und sie bildete 1927 den Grundstock des Marburger Museums für Kunst und Kulturgeschichte im neuen Haus an der Biegenstraße. So war es an Albrecht Kippenberger, dem ersten Direktor, Giebel zu seinem 70. Geburtstag eine Ausstellung in den Oberlichtsälen des Museums einzurichten. Carl Graepler schloss sich 1965 an gleicher Stelle mit einer Retrospektive zum 100. Geburtstag an. Und 2015, zum 150. Jahrestag, übernimmt nun diese Aufgabe gerne das Malerstübchen Willingshausen, nachdem das Museum wegen Renovierungsarbeiten noch geschlossen ist; der jetzige Direktor, Christoph Otterbeck, wird einführen. Nicht missen möchte ich die Ausstellung, die Jürgen Wittstock dem Maler außer der Reihe der Jubiläumstage 1996 auf Grund einer Magisterarbeit zu Heinrich Giebel gewidmet hat. Sie gab mir erste bleibende Eindrücke seiner Bilder.

Wie erklärt sich diese stete Aufmerksamkeit der für das Universitätsmuseum Verantwortlichen für eine Kunst, die sich zurückhaltend und unprätentiös formuliert; die eher erfahren werden will, als dass sie sich aufdrängt. Der Sohn des Malers, Martin Giebel, verweist auf die Persönlichkeit seines Vaters:

Da ist vor allem neben der großen Bescheidenheit der klare unbestechliche Blick und der gemütstiefe Sinn für das Echte und Wahre, die Freude an Licht, Duft, Frische, feinen Farbabstimmungen.

Verpönt war jede ‚Effekthascherei’ (...). Mit Unverständnis sah er in Ausstellungen und Publikationen Bilder, deren Inhalt er mit ‚gewollt’ bezeichnete, so vor allem manches ‚Machwerk’ der offiziellen Kunst des Dritten Reiches. In dieser Zeit wehrte er sich heftig gegen eine Vereinnahmung als Bauernmaler, Hessenmaler oder dergleichen. Überhaupt war er sehr gegen Interpretationen durch ‚Kunstschwätzer’, die sich für kunstgeschichtlich befähigt hielten, ihn irgendwo einzuordnen. Auch den Begriff der ‚Willingshäuser Schule’ mochte er nicht, da hierzu jede Voraussetzung fehlte (...). Überhaupt fühlte er ganz sicher jede falsche intellektuelle Deutung von Arbeiten durch Außenstehende. (10 Farbreproduktionen mit einem Begleittext, Marburg 1997, o. S.)

In dieser Äußerung des Sohnes, aus der zweifelsohne unmittelbar der Vater spricht, wird gegen zwei Fronten für die Freiheit des eigenen Wegs gestritten. Heinrich Giebel grenzt sich gegenüber den Avantgarde-Bewegungen der Moderne, die ihm aufgesetzt und überspitzt scheinen, als für ihn nicht maßstäblichen Kunstäußerungen ab. Zugleich widerspricht er der Zuordnung regressiver Zeitströmungen des Völkischen. Alles Behauptende, Programmatische, gleich welcher Richtung, ist seine Sache nicht. Seine ganze Aufmerksamkeit gilt dem Bildgegenstand und seinen Bedingungen. Diese unspekulative, im Machen aufgehende Malposition ist unter den Zeitumständen des 1. Weltkriegs und der ideologisch aufgeheizten Zwischenkriegsjahre gut zu verstehen.

Giebel, 1865 in Kassel geboren, tritt bereits mit 14 Jahren 1880 in die dortige Akademie ein und wird bis 1890 als Maler ausgebildet. Nach seiner Militärzeit als Einjähriger setzt er sein Studium bis 1901 in München fort. Diese lange, fast zwei Jahrzehnte währende Studienzeit prägt sein professionelles Selbstverständnis. In seinem Portrait von 1916 zeigt er sich beim Malen mit seinem betont vorgehaltenen Handwerkszeug, Palette und Pinsel. Seine sorgfältig gesetzte akademische Bildsignatur, die Kopistentätigkeit für Rembrandt und Tizian 1895/96 in der Dresdener Gemäldegalerie, solche Einzelheiten und nicht zuletzt die eigene Lehrtätigkeit, zunächst privat und von 1913 bis zu seiner Pensionierung 1934 als Universitäts-Zeichenlehrer, sprechen für den professionellen, vor allem seinen Farbinteressen und deren Verfeinerung verpflichteten Künstler.

Giebel malt Portraits und Landschaften, zunächst auch Genrebilder und erzählende Interieurs. In den Münchner Anfängen folgt die Farbigkeit der dortigen Tonmalerei harmonischer Grün- und Brauntöne mit hellem Blau. Das schönste Ergebnis dieser frühen, fein abgestimmten Malerei ist in meinen Augen In Alling bei Fürstenfeldbruck aus dem Jahr 1896.

Bis in die Zeit des 1. Weltkriegs hinein entstehen dann Bilder, die man wohl als Ausbruchsversuche weg von der Münchner Tonmalerei werten möchte. Wir kennen solche von einem feurigen Chromoxidgrün bestimmten Bilder bereits von Otto Ubbelohde aus seiner Münchner Zeit wenige Jahre früher. Am Ende dieser expressiveren Phase Giebels stehen Bilder mit einer erneuerten, reichen und harmonischen Farbkultur. Das schönste Beispiel ist wohl Alte Frau vor rotem Vorhang von 1918. In diesem Gemälde zwischen Portrait und Interieur, das von vergehender Zeit handelt, vermitteln sich Nähe und Distanz des Motivs auf wunderbar anschauliche Weise. Giebel ist ein liebevoller Sachwalter seiner Bildgegenstände.

Seine reiche helle Farbpalette erreicht er in den 1920er Jahren. Um 1925 malt er die Schwälmerin. Das ist, obgleich ja alle Ingredienzien, Tracht, Blumensträußchen, Schwälmer Brautstuhl, gezeigt werden, überhaupt nicht mehr das typische Schwälmer Sujet mit überhöhenden Tendenzen. Stattdessen: Eine junge Frau sitzt dem Maler Portrait. In dieser distanzierten Bildsituation kann er seine entwickelten Farbinteressen voll entfalten. Die kühle Sachlichkeit des Bildes lässt an die zeitgleiche Neue Sachlichkeit denken. Jedoch fehlt jede Bloßstellung, zur Schau stellende Entblößung des Motivs. Statt kritischer Distanznahme ist es eine Zuwendung durch Farbe. Man möchte hier auch einer Nähe Paul Baums nachgehen, mit dem Giebel 1917 engen Kontakt hat.

Giebel malt bis in die 1940er Jahre. Zeitlebens ist er den Kollegen in Willingshausen eng verbunden. In seinen Lebenserinnerungen beschreibt er die freundliche Geselligkeit der Malerkolonie als eine Voraussetzung seiner malerischen Entwicklung zu sich selber. 1931 ist er einer der sieben Gründer des Vereins Malerstübchen. Mit Karl Hanusch ist er der letzte der ‚alten Willingshäuser’. Das Malerstübchen freut sich, ihm seine Geburtstagsausstellung ausrichten zu können, und dankt dem Sohn und den Enkeln, dem Marburger Universitätsmuseum und weiteren Leihgebern von Bildern herzlich für ihre Unterstützung.

Ludwig Rinn